Dieses Thema kommt immer wieder auf, doch leider ist es nicht immer so eindeutig wie bei diesem Foto. Das Datum 9.8.(19)26 macht die Szene eindeutig. Uniformen der Kaiserlichen Marine wurden nur noch zu offiziellen Anlässen von verabschiedeten hohen Offizieren getragen. Der Herr Vizefeldwebel trägt unpassender Weise einen Heeressäbel, der Herr Bootsmannsmaat rechts eine viel zu enge Uniform, die anstatt des Verschlusskettchens mit einem Gummizug zusammengehalten wird. Die Krönung ist das Freikorpsabzeichen der Marinebrigade Ehrhardt, welches als Brustabzeichen aufgenäht wurde. Dazu trägt er die Weimar-Kokarde an der Mütze mit kaiserlichem Mützenband. Die Rückseite trägt einen Fotografenstempel, und der handschriftliche Zusatz sagt aus, dass man sich auf der Überfahrt nach Australien befindet. Wenn dem so war, muss der Fotograf mehrere Koffer voller Requisiten mit an Bord genommen haben. Vielleicht kann Deichkind uns etwas dazu sagen. Bernd
Nabend. Rudolf August Kelch betrieb ab 1918/19 an unterschiedlichen Adressen bis zu 3 verschiedene Foto-Ateliers, darunter eines ab ca. 1926 gegenüber dem 1907 als Mißler-Hallen gebauten Lloydheim, daß in seiner größten Ausbaustufe 3100 Auswanderer kurzfristig aufnehmen konnte. Später dienten Teile als KZ und im 2. WK als Marinelazarett, nachdem es im 1. WK bereits als Reservelazarett gedient hatte. Da die Auswanderer natürlich oft letzte (Foto)Grüße an Daheimgebliebene verschickten, wird das Atelier eine Goldgrube gewesen sein. Das Foto wurde also nicht auf dem Schiff gemacht, sondern vorher, wie auch auf dem Rettungsring mit der Aufschrift "Lloydheim" abzulesen ist. Auf Bernds Karte steht dementsprechend auch "Andenken an die Überfahrt", nicht "auf der Überfahrt" Mein Beispiel wurde ca. 2 Wochen später aufgenommen. Unterschiedliche Leute, gleiche Klamotten. Deichkind
Hallo Jungs, vielen Dank für die interessanten Informationen! Ich hätte mir wahrscheinlich mein Freikorps-Hirn zermartert, wieso das Ehrhardt-Abzeichen so merkwürdig angenäht ist, aber nun ist alles klar. Danke. Grüße, Thorsten
Beim nächsten Foto macht es uns der Fotograf leicht. Auf der Rückseite vermerkt er gleich: "Militär- und Sportkleidung vorrätig!" Wer sich über willkürlich veränderte Uniformstücke in seiner Sammlung wundert, könnte eine Fotografen-Requisite sein Eigen nennen. Bernd
Mahlzeit, das Atelier von C[urth] Rothe und seinen Partnern befand sich nur relativ kurze Zeit unter der Adr. Spielbudenplatz 20, und zwar von 1910-1911/2, im III. Stock des Gebäudes. Es dürfte sich daher wohl um ein Tageslicht-Atelier gehandelt haben. Rothe war Mitbesitzer und Geschäftsführer. Für alle, die mit der Hamburger Geschichte und Topografie nicht besonders gut vertraut sind noch der Hinweis, daß der Spielbudenplatz (heute in der privaten Verwaltung von Vattenfall und Übertragungsort des NDR beim European-Song-Contest) auch damals quasi Teil der Reeperbahn war (und ist). An ihm liegen die Davidwache, das Schmitz-Theater und das ehemalige Operetten-Haus (Cats, Rocky). Damals lag die Nr. 20 eingebettet zwischen verschiedenen "Concerthäusern", dem Stammhaus der Familie Hagenbeck und einem der ersten Kinos des Deutschen Reiches, Knopf´s Theater lebender Bilder. Also auch hier ein strategisch günstig gewählter Standort, an dem es vor amüsierwütigen potentiellen Kunden nur so wimmelte. Nicht verwunderlich also, daß sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Ateliers in dieser Strasse nachweisen lassen. Der Clou bei Rothe & Co. war das Prinzip der Schnellfotografie. Wie auf dem Jahrmarkt zu der Zeit, konnte man seine Fotos schon nach 10 min fertig mitnehmen. Damit kam er den Bedürfnissen des Laufpublikums entgegen, die sich gleich danach weiteren Amüsements widmen konnten. Das Atelier ging 1913 in das Eigentum von A. Steinborn über, der am Prinzip der Schnellfotografie festhielt. Noch schneller liefen die Fotos im Erdgeschoß, dort wurde nämlich direkt neben Knopf´s ein 2. Kino eröffnet. In meiner Sammlung ist neben einer Fotorückseite wie bei Bernd auch noch eine auf der der Hinweis abgedruckt ist: "Uniformen sämtlicher Waffengattungen vorhanden". Leider litt unter der schnellen Entwicklung und oft ungenügender Fixierung und Wässerung die Langlebigkeit solcher Abzüge. Daher ist bei Bernds Beispiel die Hintergrundkulisse kaum noch zu bestimmen. Ich erkenne aber rechts den Michel und wohl die Seewarte links. Deichkind
Immer wieder wertvoll ist die "Geschichte hinter der Geschichte", die Du uns lieferst. Danke dafür. Deinem letzten Satz über die mangelnde Fixierung und Wässerung kommt besondere Bedeutung zu, da dieses Problem nicht durch sachgerechte Lagerung aufzuhalten ist. Die Chemikalien arbeiten in Verbindung mit den Umwelteinflüssen weiter. Davon sind besonders viele Frontaufnahmen betroffen. Ich kann nur jedem Sammler raten, solche Aufnahmen sich und der Nachwelt durch Digitalisierung zu erhalten. Bernd