Die Zerstörung der Tuchhallen und der Kirche St. Martin in Ypern am 04. November 1914 sind nun wahrlich kein Ruhmesblatt der deutschen Armee. Entsprechend spärlich sind die Hinweise in der Literatur auf den Verantwortlichen auf deutscher Seite. Mit dieser "Heldentat" wollte sich schon 1914 niemand brüsten. Das Reichsarchiv, dieser "Mohrenwaschanstalt" der deutschen Generalität, spart den Vorfall im Rahmen seiner Darstellung: Der Weltkrieg 1914-1918 Band 5, Berlin 1929, Seite 345ff. einfach aus. Auch in der angelsächsischen Literatur wird das Thema auch 87 Jahre später nur kursorisch gestreift. Beispielhaft hier die Arbeit von John Horne und Alan Kramer, German Atrocities 1914, New Haven 2001,S.452 Die lokale Bevölkerung in Ypern glaubt an einen ominösen deutschen Panzerzug, der für die Verwüstungen verantwortlich war. Wikipedia nennt zumindest den Namen des Generals , der dieses Bombardement angeordnet hat. General der Infanterie Berthold von Deimling, Kommandierender General des XV. AK. Und in diesem Falle liegt Wiki richtig, wenn es uns auch die Quelle vorenthält. Auf der Spur von Markus Pöhlmann, Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914-1956, S.303ff, beschreibt Kirsten Zirkel in ihrer Dissertation: Vom Militaristen zum Pazifisten: Politisches Leben und Wirken des Generals Berthold von Deimling, Düsseldorf 2006, https://docserv.uni-duesseldorf.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-3519/1519.pdf die Hintergründe, die zur Beschießung von Ypern im November 1914 führten. Ende Oktober wird das XV AK unter Deimling der 6. Armee unter Rupprecht von Bayern für den Angriff auf den Frontbogen von Ypern unterstellt. Rupprecht wiederum unterstellt Deimling der Gruppe des Generals der Infanterie von Fabeck. Deimling will sich bewähren. Das was jetzt kommen hören wie lieber aus dem Munde des Armeebefehlshabers, Kronprinz Rupprecht von Bayern: „Das XXVII. R.K. und das XV. A.K. haben aus toller Schiesswut Ypern auf viel zu grosse Entfernung unter völlig planloses Feuer genommen. Ich fürchte für die dortigen prächtigen Tuchhallen, deren Er- haltung sowohl Falkenhayn wie mir am Herzen gelegen ist und deren Schonung ich dem General Deimling eigens befohlen hatte. Wir wollen nicht in Belgien ein auf Jahrhunderte hinaus verbitterndes Wahrzeichen schaffen, wie es die Franzosen in Deutschland in den Trümmern des Heidelberger Schlosses uns hinterliessen.“ (Zitiert nach Kirsten Zirkel, Vom Pazifisten, a.a.O, S. 169) Der Passus findet sich in den Aufzeichnungen Rupprechts vom 04.11.1914 Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt, BA-MA, W 10/50659, S. 472. Das Reichsarchiv verzichtete auf eine Veröffentlichung dieser Passage und auch in den, von Eugen von Frauenholz herausgegeben Tagebüchern Rupprechts, fehlt die Passage mit Rücksicht auf das Prestige Deutschlands. Verantwortlich für die Zerstörung der Tuchhallen ist Deimling. Ausgeführt hat die Beschießung die dem Korps unterstehenden Fußartillerieregimenter 10 und 13. Passend zu Allerheiligen und zur Erinnerung an den 04.November 1914 T.
Hallo Thomas, Danke für den interessanten Beitrag. Nach 100 Jahren kann man mit den Quellen sich täuschen, wenn man nicht weißt. Über Fußart.Regt. 13 (hatte 2 Bataillone im Jahr 1914) habe ich Zweifel. I./Fußart.Regt. 13 war ab August 1914 bis August 1915 dem XIII. AK unterstellt, II./Fußart.Regt. 13 war ab August 1914 bis Januar 1915 der Kommandantur Neubreisach (bei A.Abt. Gaede) unterstellt. Nur II. Batl./Fußart. Regt. 10 war ab August 1914 bis 1916 dem XV. AK unterstellt, I./Fußart.Regt. 10 befand sich hauptsächlich ab August 1914 bis 1916 beim XVI. AK. Gruß, Thierry
Hierzu darf erweiternd angemerkt werden : In Dr. Joseph Sauer - Die Zerstörung von Kirchen und Kunstdenkmälern an der Westfront Erscheinungsjahr 1917 Freies Zitat : Wenn so eine Stadt wie Ypern zum Bollwerk des Widerstands ausgebaut wird dann ist doch klar das es irgendwann alles zerstört ist und in Schutt und Asche liegt. Schuld daran hat alleinig der, der sich dort verteidigt! Diese Aussage ist dort mehrfach in verschiedenen Formen zu lesen, auch für andere Städte und Kunstwerke. Man gab also durchaus zu es zerstört zu haben aber sah die Schuld beim Verteidiger .... Auch eine Art einen Schuldigen zu präsentieren.
Moin Patrick, So ein Sauer findet sich in jedem Krieg. Aber hier geht es nicht um Propaganda, die eh keiner glaubt. Der Generaloberst Rupprecht von Bayern königliche Hoheit befiehlt seinem Untergebenen, dem General der infanterie von Deimling, dem vermaledeiten Preußen: Tuchhalle in Ypern nicht puttmachen. Und was macht der Deimling. Eben
Hallo, Betreffend die schwere Artillerie kann man in der Geschichte vom II. Batl./Fußa.Regt. 10 lesen: Nach diesem Text beschoß das Batl. am 4.11.1914 nicht direkt die Stadt Ypern. Tatsächlich kommt in Frage diese 8. Batt./bayer. Res.Fußa.Regt. 3 (21 cm Mörser), die Bestandteil der 6. Armee (Rupprecht) war, und zwischen Oktober 1914 und 1915 dem XV. AK zugeteilt wurde. Im Gedenkbuch der bayer. schweren Artillerie sind Aufzeichnungen über die Batterien vom II. Batl./bayer. Res.Fußa.Regt. 3 zu finden, außer diese 8. Batterie, welche Halb-Batterie im Februar 1916 in die 12. Batterie aufging. Es ist zu hoffen, daß das Kriegstagebuch in München (Signatur BayHStA, FußAF (WK) 8697) trotzdem Auskunft zum 4.11.1914 gibt. Gruß, Thierry
Spannend auch das FuAR 13 I Battailon in seiner RG. Sie waren wohl mit anderen Dingen beschäftigt, aber der Satz "Über die Gefechtstätigkeit des Bataillons kann nichts berichtet werden, da das KTB des Bataillons heute und an den folgenden Tagen auf die Feuerverteilungsskizzen verweist, die vorläufig nicht vorliegen!" hat irgendwie ein Geschmäckle finde ich. Wenn man den Text liest findet man noch Beschreibungen für den 01.11. und den 02.11. aber dann gehts quasi erst am 09.11. weiter. Der Text erweckt den Eindruck als hätte man nichts mit Ypern oder überhaupt irgendwie etwas auch nur in der Nähe damit zu tun. Man hat nur die 52. Brigade beim Vorrücken unterstützt. Frei nach Asterix : Alesia ? Ich kenne kein Alesia
Moin Patrick, sehe ich genauso. Rupprecht als Armee Oberbefehlshaber macht in Deimling den Verantwortlichen aus. Da das für beide peinlich ist (Rupprechts kann sich als Oberbefehlshaber nicht durchsetzen, Deimling ignoriert -vorsichtig ausgedrückt-Befehle) einigt sich stillschweigend darauf, die Episode zu vergessen. Im Reichsarchiv und in den Einzeldarstellungen übergeht man die Beschießung. Diesem Muster folgen dann die Darstellungen auf unterer Ebene In der von Thierry zitierten Passage der RG legt man zB auf folgende Feststellungen wert: Am 4. November-Großkampftag- hatte das Halbbatallion Schunk frei. Vermutlich Putz- und Flickstunde. Die 7. und 8. Batterie beschossen den ganzen Tag die, bestimmt wichtige Kreuzung, östlich Ypern. Der Hauptmann Mickel war wegen Dünnschiß entschuldigt. Gruß T
Die die es definitiv nicht waren schreiben wo sie waren oder mit anderen Sachen beschäftigt waren. Die die es waren schreiben nix und so wirds totgeschwiegen da keiner schreibt wers war. Erinnert mich an eine "Franktireur"-Recherche von Anki1979 , jeder schreibt wo er war und was er gemacht hat und war weit weit weg von dem Ort, aber dennoch muss ja einer dagewesen sein....
Moin, bin gerade in Flandern und schreibe diese Zeilen in der wiederaufgebauten Tuchhalle in Ypern (wurde gerade für das Mitteilungsblstt der Freunde des Flandern Fields Museum "VFF" interviewt). In meiner Fekdpostsammlung habe ich einen Brief von einem dt. Infanteristen der bei Ypern (bzw. nördlich davon) diente. Ich müsste es noch einmal genau nachschauen, aber schreibt über das Ereignis sinngemäß etwas folgendes ( ohne Gewähr, muss ich nöchste Woche nachschauen): Ich ging zu den 8er (?) Artilleristen und sah ihnen bei der Beschießung von Ypern mit Tuchhalle usw zu. Er fand den Verlust der Kulturdenkmale sehr bedauerlich und fertigte auf dem Briefpspier noch eine Skizze der beschossenen Tuchhalle aus der Ferne an. Kann es auch Fussart. Batl. 8 gewesen sein, diese waren auf jeden Fall einige Monate später nördlich von Ypern? Die 8.Komp (s.o.) könnte es aber ggf auch gewesen sein Nächste Woche mehr, dann bin ich von meiner Rundreise zurück. -Nordarmee-
Zumindestens das II des FuAR 8 war in den Gefechten an der Yser beteiligt , inkl. Beschuss der engl. Flotte von Lombarzyde. Ab April 15 dann Ypern
Hallo, Im Kriegstagebuch vom Kr. Rupprecht, veröffentlicht im Jahr 1929, findet man auf S. 244 : Rupprecht schrieb nicht « befehl » sondern « Wunsch ». Deimling zweifellos der ideale Schuldige ? Im Jahr 1929 war schon wohl bekannt, daß Deimling im Jahr 1920 als Kriegsverbrecher (Leioziger Prozess) verfolgt wurde, u.a. für die Erschießung von Zivilisten in Raon-l’Etape und Allarmont (franz. Vogesen, August 1914) sowie für die Brandsteckung von Dörfer. Deimling schrieb am 27.3.1920 für seine Verteidigung : (Befehl Städte und Dörfer niederzubrennen : auf einen solchen befehl habe ich niemals erlassen.) Quelle: Barch-MA, N 559/13 Dannach bekannt war auch, daß Deimling mit Pazifisten Kontakt hatte (um 1924). Gehen wir zurück zur Beschießung von Ypern, 4.11.1914. In seinen Erinnerungen "Von der alten in die neue Welt", veröffentlicht im Jahr 1929, schrieb Deimling über die Vorbereitungen des Angriffs gegen Ypern. Quelle: Barch-MA, N 559/4 Aber am 31.10.1914 wurde der General durch (engl.) Schrapnell verwundet. Er kam zu Bett und bekam sogar den Besuch vom Kaiser. Also am 4.11.1914 war er tatsächlich in der Lage, entsprechende Artillerie-Befehle zu erlaßen? Kaum zu denken. Und was mit dem Übergeordneten General v. Fabeck, dem das XV. AK unterstellt war, der General der für den Angriff verantwortlich war? Gruß, Thierry
Moin Thierry, 1.) Oben schrieb ich zu den modifizierten Erinnerungen Rupprechts, gestützt auf Pöhlmann und Zirkel folgendes: "...deren Schonung ich dem General Deimling eigens befohlen hatte." Das ist O-Ton Rupprecht in seinen Bemerkungen gegenüber dem Reichsarchiv, nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Quelle:BA-MA, W 10/50659, S. 472 Wie ich oben weiter bemerkte, ist dies in den veröffentlichten Memoiren anders dargestellt worden und aus dem Befehl (den Rupprecht nicht durchsetzen konnte) wurde ein Wunsch. 2.) Zur Rolle Deimlings bei den Leipziger Kriegsverbrecherprozessen siehe Kirsten Zirkel: Vom Militaristen zum Pazifisten: Politisches Leben und Wirken des Generals Berthold von Deimling, Düsseldorf 2006, S.294ff Auch Zirkel wundert sich, dass die Tuchhalle von Ypern nicht zu den Anklagepunkten gegen Deimling gehörte.Daraus kann man aber nicht schließen, Deimling wäre nicht für die Beschießung verantwortlich. Zur Verteidigungsstrategie Deimlings siehe Zirkel,a.a.O, S. 296f. Dein handschriftlicher Vermerk bezieht sich ja nicht auf Ypern sondern auf Raon l’Etape Insbesondere sein ehemaliger Stabschef Wild bestätigte, das es nie einen solchen Befehl gegeben hätte. Reine Gefälligkeitsgutachten. Aber ich gebe dir insofern Recht. Das sollte seine Position als "Wiedergeborener Pazifist" untermauern 3.) Zur These ob Fabeck der Verantwortliche gewesen sein könnte? Deimling wurde am 30.10. verwundet. Stimmt. Ist ein anderer Offizier "mit der Führung" des XV AK während der Zeit seiner Verwundung beauftragt worden? Nein! Deimling selbst beantragt beim Kaiser, weiterhin die Führung behalten zu können. Und das wird ihm gewährt. Hat Rupprecht auf dem Kommandowege einen Offizier mit der Führung beauftragt oder das XV. AK während der Zeit der Verwundung von Deimling direkt der Führung Fabecks unterstellt? Nein. Also: Deimling war der Meinung, er könne das XV. AK trotz Verwundung führen, Wilhelm II war der Meinung er könne das XV AK führen und auch Rupprecht ging davon aus, das Deimling das XV AK am 04. November 1914 führte. Da bleibt für gegenteilige Vermutungen eigentlich kein Platz. Gruß T