Hallo, ich weiß, ich stell schon wieder ein unmögliche Frage... Zu was war eigentlich die Marine militärisch nütze? Klar, so ein stolzes Schlachtschiff war Ausdruck der Stärke Deutschland und hat dem Wilhelm und der Admiralität gefallen usw. usf... Aber rein militärisch: War diese "aufgeblasene" Marine nicht unnütz? Deutschland war von der Versorgung vom Meer her eh außen vor. Von wem der Verbündeten sollte die Versorgung auch via Schiff kommen? (Falls da je überhaupt etwas freiwillig und nicht nur als "Beute" kam). Die interessanten Importgüter waren Erz und Kohle aus Frankreich und Erdöl aus Rumänien. Da ging doch nichts auf dem Seeweg, der zu Sichern gewesen wäre. Die Küste hätte sich mit ordentlichen Küstenbatterien verteidigen lassen und den Engländer schon auf Abstand gehalten. Die Abschottung Englands hat eh nicht funktioniert und nur den Eintritt Amerikas als Feind verursacht (was eigentlich kein Militär bei klarem Verstand für sinnvoll erachtet haben kann) Die französischen Kolonien hätten sich mit einer sehr viel kleineren Marine in Schach halten lassen. Auch wenn ich die Kolonialtruppen eher für Show als für kriegsentscheidend erachte. These: Die Kriegsschiffe haben ungeheuer viel Material und Geld gekostet ohne dass sie - auch nur theoretisch - irgend etwas kriegsentscheidendes bringen konnten. Was meint Ihr? Gruß Gabriel (in Würtemberg: gelacht wird heute höchsten im Keller oder über den Nachbarn der sich nur 'ne C-Klasse leisten kann)
Hallo Gabriel! Nunja, die Marine ist auf unserer Seite ja auch nicht effektiv eingesetzt worden, da der Kaiser ja keinen Kratzer am Lack haben wollte. Sie hätte schon besser eingesetzt werden können. Eine Marine kann man einsetzen zur Sicherung der Kolonien, im Kriegsfalle als Begleitschutz für Handelsschiffe. Du schriebst von "interessanten Importgütern". Was ist mit Lebensmitteln? Durch die Blockade knurrte ja fast allen Deutsche im Kriege der Magen. Diese Blockade hätte man evtl. durchbrechen können. Ich weiß jetzt nicht, ob unsere Marine dazu stärkemäßig in der Lage gewesen wäre
Da gibt es viele gute Gründe , das würde hier aber den Rahmen sprengen. Z.B. hatte Deutschland Kolonien und Pachtgebiete , die sollten damit gesichert werden ( z-B. durch das Ostasiengeschwader ) Auch im Krieg war der Küstenschutz z.B. von Flandern extrem wichtig . Ohne die U-Boote und Torpedoboote hätte das sicherlich dort an der Front noch schlimmer ausgesehen Die engl. großen Schiffe hätten noch mehr in den Artilleriekampf an der Küste eingreifen können . Das die Marine evtl. nicht effektiv eingesetzt wurde ,ist eine andere Sache. Im übrigen ist ja der ganze 1.Weltkrieg anders gelaufen , als wie es die großen Schlaumeier geplant hatten. Ich denke nur an das Maschinengewehr, welches schon kurz nach Kriegsbeginn die ganze Kavallerie zum Absitzen zwang . Das Flugzeug , das total verkannt wurde. Letztendlich waren bei Kriegsende in Deutschland 1,5 Millionen Mann zur Luftabwehr abgestellt. Und , und so weiter . Keiner hatte auf die Fachleute gehört, die das schon voraus sahen . Gruß Richard Museum Alter Flakleitstand
Hallo, da man sich davor hüten sollte, solche Fragen aus der "hinterher sind alle schlauer"-Position zu beurteilen, läßt sich eine solche Frage nur schwer beantworten. Der Grundgedanke des Schlachtschiffbaus war ja, eine solch starke Flotte zu haben, dass England es nicht wagen würde, in einen Krieg gegen Deutschland einzutreten (Theorie der Risikoflotte). Dass dieser Plan grandios gescheitert ist, wissen wir heute alle. Ob er unter allen Umständen scheitern mußte -z. B. auch wenn der Krieg erst später gekommen wäre oder mit anderen Bündniskonstellationen- wage ich nicht zu beurteilen. Fest dürfte stehen, dass Deutschland eine Marine mit Kriegsschiffen gebraucht hat. Erinnert sei an die kolonialen Ambitionen -die natürlich irgendwo im nachhinein auch überflüssig waren-, aber auch die Verteidigung der eigenen Küsten war nicht nur mit Küstenbatterien zu bewerkstelligen. Selbst unsere heutige Marine verzichtet nicht auf Schiffe. Ob man bei der Rüstung anders hätte gewichten sollen, mag ich nicht beurteilen. Man darf sich bei dem Versuch der Beantwortung solcher Fragen auch nicht alleine auf die anschließende Entwicklung 14-18 versteifen. Deutschland hatte vor dem 1. WK den Anspruch "Weltmacht" -heute würde man sagen Global player- zu sein, und Weltmacht ist nunmal auch Seemacht. Nur mit einem starken Heer wird man keine Weltmacht, vgl. Napoleon. Man benötigte also schon eine starke Flotte solange man diese Ambitionen verfolgte. Letztlich war die Flotte dann im Krieg zu schwach, um die Seeherrschaft der Engländer wirklich gefährden zu können. Manche sprechen von einem Versagen der Flotte. Ich möchte jedoch zu bedenken geben, dass auch das "glorreiche Heer" nicht in der Lage war, den Krieg zu gewinnen, verloren haben daher alle gemeinsam. Stefan
Moin. >Selbst unsere heutige Marine verzichtet nicht auf Schiffe.< Doch das muß sie sogar denn 6 U-Boote sind nicht einsatzbereit und bei den anderen Schiffen ist ein Großteil nicht einsatzfähig weil es keine Ersatzteile gibt. Ich möchte mir nicht vorstellen was das für ein Geschrei gibt wenn eines der Schiffe das im Mittelmeer eingesetzt ist durch techn. Probleme havariert.
Also mit dem Punkt zur Sicherung der überseeischen Besitzungen kann ich mich nicht anfreunden. Denn zur Sicherung der Kolonien hätten auch kleine Kreuzer und Kanonenboote ausgereicht. Die "afrikanischen Häfen" verfügten überhaupt nicht über die Kapazität um ein deutsches Geschwader aufzunehmen. Selbst ein einzelnes Schlachtschiff wäre schon zu viel gewesen. Meines Wissens sollten die Häfen, wenn überhaupt, dann nur als Rückzugsort dienen, um mit Proviant und Kohle neu beladen zu werden, wodurch ein Kreuzerkrieg forciert werden sollte, was 1914 auch der Fall war. Das Ostasiengeschwader war ebenfalls nicht für die Verteidigung Tsingtau bedacht gewesen. Das Ostasiengeschwader hatte eigentlich nur einen Demonstrationszweck, sowohl in China und vor allem auch in der Südsee. Es nahm auch an keinen Aufständen teil (bis auf Ponape, jedoch auch nur in Teilen) und mit Ausbruch des WK1 sollte es sich nach Deutschland zurückschlagen und ggf. Kreuzerkrieg führen. Weiterhin stellt sich mir die Frage, warum ein Flottenaufbau (mit der Begründung zur Sicherung der überseeischen Besitzungen) vorangetrieben werden sollten, wenn nach damaligen Verständnis die Kolonien im Kriegsfalle neutral zu bleiben hatten. Demzufolge hatten die Kolonien keinen militärischen Wert. Warum also moderne Schlachtschiffe dahin schicken? Grüße Karsten
Jetzt könnte natürlich eine tagelange , wochenlange Diskussion entstehen... Sinn und Zweck der Kaiserlichen Marine. Aber darüber sind hunderte von Bücher ,Artikel usw. geschrieben worden . Hier mal ein Auszug aus Wikepedia : Das Ostasiatische Kreuzergeschwader war ein Schiffsverband der Kaiserlichen Marine zur Durchsetzung und Sicherung nationaler Interessen im ostasiatischen und südpazifischen Raum. . Ich meinen der Tread von Mainschiffer trifft es... Gruß Richard
Hallo Harald, dass ist aber kein konzeptioneller Verzicht, sondern das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit. Das gab es aber auch schon bei der kaiserlichen Marine und auch später bei der Kriegsmarine. Im übrigen pflichte ich Richard bei, dass die ganze Diskussion etwas weit führen könnte, solange nicht klar ist, über was man sich unterhalten will: nur keine Schlachtschiffe oder überhaupt keine Schiffe (statt dessen Küstenbatterien??), statt Schlachtschiffen mehr Kreuzer oder überhaupt weniger Marine zugunsten des Heeres, Weltmacht darstellen oder nicht, Kolonien haben wollen oder nicht, diese schützen wollen; Handelskrieg führen oder nicht ??. Ich denke und konnte vielleicht an obigen Fragen aufzeigen, dass eine Frage wie: zu was war die Marine nutze und welche Alternativen hätte es gegeben, vielleicht Gegenstand eines Buchs sein kann, aber meiner Meinung nach den Rahmen eines solchen Forums sprengt. Stefan
Nun ja, wenn die Richtung der Diskussion dahin geht, dass die Sicherung der Kolonien eines der Hauptpunkte ist und dies u.a. als ein Punkt für den militärischen Nutzen der Marine unterlegt wird..... .....dann muss ich natürlich gegenargumentieren. Ich zitiere: "Die intensivere persönliche Beschäftigung des Kaisers mit Angelegenheiten der Marine fiel mit einem erbitterten Grabenkampf innerhalb der Chefetage der deutschen Seekriegsleitung zusammen. Der Leiter des Marinekabinetts Admiral Baron Gustav von Senden-Bibran und sein ehrgeiziger Protegé Alfred von Tirpitz forderten nachdrücklich den Bau einer großen Zahl von Schlachtschiffen. Auf der anderen Seite stand der zurückhaltende Admiral Friedrich Hollmann, Staatssekretär für die Marine und damit zuständig für die Ausarbeitung der Flottengesetze für den Reichstag. Hollmann plädierte weiterhin für den Bau einer Streitmacht schneller Kreuzer von dem Schiffstyp, der von der damals aktuellen französischen jeune école befürwortet wurde. Während dem aufstrebenden Tirpitz ein künftiges Ringen um die Gleichstellung mit Großbritannien in Gewässern nahe der Heimat vorschwebte, hatte Hollmann eine flexiblere, über lange Strecken einsetzbare Waffe vor Augen, mit deren Hilfe man deutsche Ansprüche an der Peripherie durchsetzen und deutsche Interessen schützen konnte. Von 1893 bis 1896 führten Tirpitz und seine Bundesgenossen einen Kleinkrieg gegen Hollmann, stellten offen seine Kompetenz in Frage und bombardierten den Kaiser geradezu mit Memoranden, in denen sie ihre eigenen strategischen Vorschläge skizzierten. Nachdem Wilhelm II. eine Zeitlang zwischen den zwei Lagern geschwankt hatte, entzog er 1897 Hollmann seine Unterstützung und ernannte an dessen Stelle Tirpitz. Am 26. März 1898 verabschiedete der Reichstag nach einem gigantischen Propagandafeldzug ein neues Flottengesetz. Anstelle der bruchstückhaften und vagen Vorschläge der frühen neunziger Jahre setze das Reichsmarineamt unter Admiral von Tirpitz ein umfassendes, langfristiges Bauprogramm durch, das bis 1912 den Löwenanteil der deutschen Rüstungsausgaben verschlingen sollte. Letzlich sollte das Deutsche Reich in die Lage versetzt werden, die britische Flotte als ebenbürtiger Gegner herauszufordern." (Quelle: Christopher Clark: Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog - S. 203) Somit wurde mit der Absetzung Hollmanns, gleichzeitig auch die Strategie zur Sicherung der deutschen Überseebesitzungen/ Interessen verabschiedet bzw. nicht mehr weiter verfolgt. Demzufolge kann ich die Argumentation zur Sicherung der Kolonien nicht akzeptieren. Da hilft auch nicht das "Ostasiengeschwader" Viele Grüße Karsten
Hallo, vielen dank für Eure interessanten Beiträge. Gegen ein gepflegte, längere Diskussion hätte ich nichts einzuwenden Um nochmals meine These aufzustellen (da ja nach dem Sinn der Diskussion gefragt wurde) These: Die Kriegsschiffe haben ungeheuer viel Material und Geld gekostet ohne dass sie - auch nur theoretisch - irgend etwas kriegsentscheidendes bringen konnten. leutwein zitiert ja Clark mit dem Satz: ... setze das Reichsmarineamt unter Admiral von Tirpitz ein umfassendes, langfristiges Bauprogramm durch, das bis 1912 den Löwenanteil der deutschen Rüstungsausgaben verschlingen sollte. Das meinte ich mit dem Ansatz "Fehlinsvestition". Letztlich sollte das Deutsche Reich in die Lage versetzt werden, die britische Flotte als ebenbürtiger Gegner herauszufordern." Schön und gut, aber die Frage wozu? Meines Wissens ging man ja davon aus, dass sich England nicht für das kleine, unwichtige Belgien verkämpfen würde. D.h. man ging in der Führung nicht davon aus, das England zwingend in den ersten Weltkrieg eintritt. Ich meine, wenn ich einen Krieg plane oder erwarte entwickle ich doch Angriffs- bzw. Verteidigungs-Scenarios und ein Kriegsziel. Also anders gesagt ich will X und brauche dafür an Streitkräften folgendes: y + y + y. Was war der Plan mit der Marine? Seeherrschaft war doch eigentlich fast ohne praktischen Nutzen im Kampf um die kontinentale Vorherrschaft, bzw. hätte dieser nachgeordnet folgen können, auf Grund der begrenzen Ressourcen ja sogar müssen. Um diese Vorherrschaft an Land wurde der Erste Weltkrieg doch primär geführt, geplant. Es ging Deutschland vor allem darum Frankreich und Russland klein zu halten. (Wobei sich da auch die Frage stelle, was das gewünschte Resultat im Falle eines Sieges konkret hätte sein sollen) Oder habe ich das falsch verstanden? Gruß Gabriel
Ohne jetzt nochmals auf die verschiedenen Theorien und Begründungen eingehen zu wollen, warum eine Flotte und warum eine solche Flotte gebaut wurde, möchte ich doch mal dem Eindruck entgegentreten, dass die Hochseeflotte, d. h. die Schlachtschiffe, im 1. Weltkrieg keine Rolle gespielt hätte. Festzuhalten ist, dass die Hochseeflotte die Seeherrschaft in der südlichen Nordsee sowie in der Ostsee während des gesamten Krieges garantiert hat. Damit war erreicht 1.) dass die Briten weder die dt. Küsten beschießen noch Landungsunternehmungen hinter der Front vornehmen konnten 2.) die Entente ihrer russischen Verbündeten nicht mit Nachschub versorgen konnte. Damit hat die Flotte zum Ausscheiden Russlands aus dem Krieg entscheidend beigetragen. Außerdem darf auch in Erinnerung gerufen werden, dass es die Aktionen der SMS Goeben und SMS Breslau waren, die zum Eintritt des Osmanischen Reichs auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg geführt haben. Insoweit waren die Schiffe sehr wohl "nützlich" und haben auch eine wichtige Rolle gespielt. Stefan
Zu dieser Frage gibt Clark auch eine Antwort: "In der Transvaalkrise von 1894/95 erreichten die britisch-deutschen Spannungen ihren Höhepunkt. Scho nseit langem kam es zu lokalen Problemen zwischen der britisch kontrollierten Kapkolonie und der benachbarten Südafrikanischen Republik der Buren, auch Transvaal genannt. Obwohl die Unabhängigkeit von Transvaal international (auch von Großbritannien) anerkannt war, forderte Cecil Rhodes, die führende Persönlichkeit in der Kapkolonie, nachdrücklich die Annexion des nördlichen Nachbars, da er dem Lockruf der in den 1880er Jahren entdeckten riesigen Goldvorkommen nicht widerstehen konnte. Weil deutsche Siedler in der Wirtschaft von Transvaal eine wichtige Rolle spielten und den Deutschen ein Fünftel des gesamten investierten ausländischen Kapitals gehörte, hatte die Berliner Regierung ein starkes Interesse, die Unabhängigkeit der Republik zu erhalten. Im Jahr 1894 löste Berlins Beteiligung an Plänen für den Bau einer deutsch finanzierten Bahnlinie, die den Binnenstaat Transvaal mit der Delagoa-Bucht (heute: Maputo-Bucht) im portugiesischen Mosambik verband, Proteste in London aus. Während die britische Regierung in Betracht zog, über eine Annexion der Delagoa-Bucht die Kontrolle über die umstrittene Bahnlinie zu übernehmen, und jede Regelung zurückwies, die ihre politische und wirtschaftliche Dominanz in der Region abgeschwächt hätte, bestanden die Deutschen auf einer Beibehaltung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit Transvaals. Im Herbst 1895 kam es zu weiteren Spannungen, als der britische Botschafter in Berlin Sir Edward Malet Transvaal einen Konfliktherd in den britisch-deutschen Beziehungen nannte und vage die Möglichkeit eines Krieges zwischen den beiden Ländern andeutete, falls Deutschland sich weigere, nachzugeben. Die deutsche Regierung war demzufolge ohnehin schlecht auf die Briten zu sprechen, als ein gescheiterter Überfall auf Transvaal im Dezember 1895 eine internationale Krise auslöste. Die britische Regierung hatte Dr. Leander Starr Jamesons Angriff auf die Republik, den sogenannten Jameson Raid, zwar nicht ausdrücklich gebilligt, aber mindestens ein britisches Regierungsmitglied (Joseph Chamberlain) hatte im Vorfeld davon gewusst. Der Überfall selbst endete in einem Fiasko: Jamesons Männer wurden rasch von den Truppen der Republik Transvaal überwältigt und gefangen genommen. In Berlin ging man, genau wie in Paris und St. Petersburg, allgemein davon aus, dass London ungeachtet der offiziellen Dementis aus Whitehall hinter der versuchten Invasion steckte. Entschlossen, ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen, schickte die deutsche Regierung ein persönliches Telegramm des Kaisers an Paul Kruger, den Präsidenten der Republik Transvaal. Die "Krüger-Depesche", wie sie später bekannt wurde, wünschte dem Präsidenten ein frohes neues Jahr und gratulierte ihm dazu, dass er "ohne an die Hülfe [sic!] befreundeter Mächte zu appellieren [...] die Unabhängigkeit des Landes gegen Angriffe von außen" verteidigen konnte. Diese zurückhaltend formulierte Nachricht löste einen Sturm der Empörung in der britischen Presse und eine entsprechende Woge der Begeisterung in Deutschland aus, wo sie als Zeichen begrüßt wurde, dass endlich etwas für die Verteidigung deutscher Interessen in Übersee getan wurde. Dabei war die Krüger-Depesche kaum mehr als eine politische Geste. Deutschland zog sich rasch aus der Auseinandersetzung mit Großbritannien um den Süden Afrikas zurück. Das Kaiserreich verfügte nicht über die nötigen Mittel, seinen Willen durchzusetzen, ja es konnte sich nicht mal den gebührenden Respekt als ebenbürtiger Rivale in einem derartigen Interessenskonflikt verschaffen. Am Ende akzeptierte Berlin eine Kompromisslösung, die als Gegenleistung für wertlose britische Zugeständnisse Deutschland von weiteren Einmischungen in die politische Zukunft Südafrikas ausschloss. Zur Bestürzung der deutschen nationalistischen Presse lehnte die deutsche Regierung es ab, vor oder während des Burenkrieges (1899-1902) im Namen von Transvaal zu intervenieren, der mit der Niederlage Transvaals und der Umwandlung in eine britische Kolonie endete. Somit waren die 1890er Jahre eine Ära der sich verstärkenden deutschen Isolation. Eine Zusage von Großbritannien blieb in weiter Ferne, und das französisch-russische Bündnis schien den Bewegungsspielraum auf dem Kontinent erheblich einzuengen. Aber die Staatsmänner Deutschlands brauchten außergewöhnlich lange, bis sie das Problem in seinem vollen Ausmaß erkannten. Sie waren nämlich überzeugt, dass die anhaltenden Spannungen zwischen den Weltreichen allein bereits eine Garantie dafür seien, dass diese sich niemals gegen Deutschland zusammenschließen würden. Statt der Isolation durch eine Politik der Annäherung zu begegnen, erhoben die deutschen Politiker das Streben nach Autonomie zum Leitgedanken. Am deutlichsten zeigte sich diese Entwicklung an der Entscheidung, eine große Flotte zu bauen." (Quelle: Christopher Clark: Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog - S. 200ff) Grüße Karsten